Der Kalkbrenner aus Österreich

Der Kalkbrenner

Eine Kalkbrennerei mitten in den Bergen Vorarlbergs

Vor mehr als zwanzig Jahren ist Gerold Ulrichs Leidenschaft für Kalkputze entbrannt. Inzwischen brennt er seinen Kalk selbst. Ganz natürlich und ziemlich archaisch. Aber was er daraus macht, ist handwerklich und architektonisch vom Feinsten. Wir haben ihn im österreichischen Vorarlberg besucht.
Der Kalkbrenner aus Österreich
Umgeben von Bergen, wo der Mischwald dichter und der Forstweg immer schmaler wird, fahren wir stur hinter dem Auto von Gerold Ulrich her. Dorthin, wo er seinen eigenen Kalk brennt. Kaum vorstellbar wie er hier Mitten in der Natur tonnenweise Stein herauf- und den gebrannten Kalk ja auch irgendwie wieder herunterbringt. Vor uns öffnet sich eine Lichtung und das Ziel ist erreicht. Das sagt uns nicht das Navi, sondern der Kalkofen, den Gerold Ulrich in einen abschüssigen Hang gebaut hat.
Der Kalkbrenner aus Österreich

Fünf Tage und Nächte bei 900°C

Seit 2005 brennt der gelernte Maler und Malermeister seinen Kalk selbst – in verschiedenen Ausbaustufen, wenn man so will. Der Kalkofen hier oberhalb von Satteins, wo Ulrich seinen Betrieb hat, ist sein Meisterstück. Gebaut hat er ihn aus Stampflehm, er fasst 18 Tonnen Kalkstein. Mächtige Stahlringe und -anker halten ihn zusammen, damit ihn die Masse und die Hitze nicht zum bersten bringen. Der Kalkstein wird nämlich – ausschließlich mit Holz befeuert – bei einer konstanten Temperatur von 900 °C gebrannt. Fünf Tage und Nächte lang dauert der Brennvorgang, rund um die Uhr wird die Temperatur überwacht und Holz nachgelegt.

„Bei uns bleiben alle natürlichen Eigenschaften des Kalks erhalten, was sich auf die Qualität und Verarbeitung des Baumaterials äußerst positiv auswirkt.“

Gerold Ulrich

Kalk brennen und verarbeiten – ein geschlossener Kreislauf

Dafür nimmt sich Gerold Ulrich Zeit, nicht weil er zu viel davon hätte, sondern weil ihm das Ergebnis wichtig ist: „Der Brennvorgang bei der industriellen Herstellung erfolgt bei 1.200 °C und viel schneller. Das ist zwar wirtschaftlicher, mindert aber letztlich die Qualität des Kalks, der dann durch Zusatzstoffe künstlich aufgewertet wird. Bei uns bleiben alle natürlichen Eigenschaften des Kalks erhalten, was sich auf die Qualität und Verarbeitung des Baumaterials äußerst positiv auswirkt.“ Erst wenn der gebrannte Kalk nach einer weiteren Woche abgekühlt ist, wird er gelöscht. Mit wenig Wasser versetzt, erhält man Pulver. Wird hingegen viel Wasser hinzugefügt, entsteht der sogenannte Sumpfkalk, der unter einer dünnen Wasserschicht jahrelang gelagert werden kann. Dass es sich bei der Herstellung und Verarbeitung des reinen Kalks tatsächlich um einen geschlossenen Kreislauf handelt, fasziniert Gerold Ulrich besonders: „Wenn beim Abbinden das Löschwasser verdampft und der Putz Kohlendioxid aufnimmt, karbonisiert der Kalk und wird über Jahre hinweg wieder zu dem, was er einmal war: nämlich Stein.“ Diese Erkenntnis ist nicht neu. Denn Kalk gehört zu den ältesten Baumaterialien der Menschheit. Und je intensiver sich Ulrich damit beschäftigte, desto mehr wuchs seine Faszination dafür – zumal in seiner Heimatregion am Rande der nördlichen Kalkalpen, wo das Material buchstäblich vor der Türe liegt.
Die Kalkbrennerei in den Bergen Österreichs

Zurück zum Ursprung

Als Gerold Ulrich zu Beginn seiner Selbstständigkeit bei ersten Restaurierungsprojekten historische Häuser mit Kalk verputzte, entdeckte er nicht nur alte Putztechniken wieder, sondern er erkannte auch die Grenzen gängiger, industriell hergestellter Baumaterialien. Das eine kam zum anderen. Die Werkstatt wuchs, die Fertigung und Lagerung eigener Kalkprodukte nahm Fahrt auf, der hervorragende Ruf des Kalkspezialisten schwappte über die Landesgrenzen hinaus, sogar einen zweiten Standort im schweizerischen Diepoldsau hat Ulrich eingerichtet.

Das Herz des „Alchemisten“

Aus der ursprünglichen Werkstatt in Satteins ist über die Jahre ein ausgewachsener Betrieb geworden. Im Hochregallager stapeln sich Sackware und Schüttgut bis unter die Decke. Auf dem Hof wird in riesigen Containern der Sumpfkalk gelagert. Das Herz des „Alchemisten“ aber schlägt nach wie vor in seinem Atelier. Auf der Werkbank mischt Gerold Ulrich Rezepturen an, probiert immer wieder Neues aus und bemustert Farbtöne. An der Wand reihen sich Kalkputzproben aneinander, im Regal verschiedene Werkzeuge und Gläser mit Pigmenten. Ein „Tüftler und Selbermacher“ sei er, steht in einem Buch über Gerold Ulrich – und das zeichnet ihn eben aus: dass er nicht nur theoretisch alles weiß, sondern es praktisch auch noch kann.
Das Festool Rührwerk zum Anrühren von Kalk

Reiner Kalkputz – ökologisch und nachhaltig

Dass der Vorarlberger Kalkbrenner einfach sein Ding macht, hat ihm mitunter den Ruf eines Rebellen eingebracht. Gerold Ulrich wiegelt mit einem verlegenen Schmunzeln ab. Aber ein bisschen was sei schon dran: „Ich habe schon zu spüren bekommen, dass man allein mit Erfahrung und gesundem Menschenverstand nicht gegen die mächtige Bauindustrie ankommt. Wenn man schaut, wie ökologisch und nachhaltig etwa die natürlichen Dämmeigenschaften des reinen Kalkputzes sind, dann fragt man sich, warum wir überall EPS-Hartschaumplatten an die Fassaden kleben, die auch noch staatlich gefördert werden.“

„Das Schöne ist ja, dass Kalk lebt und auf natürliche Art jeden Raum und jedes Gebäude lebendig hält.“

Gerold Ulrich

Der Kalk lebt

Tatsächlich könnte sich Gerold Ulrich darüber die dichten Haare raufen, aber er tut es nicht. Stattdessen freut er sich an den vielen Bauherren und Architekten, die ihn inzwischen zurate ziehen oder beauftragen. Er staunt wie ein kleines Kind, wenn er – wie im Türelihus im schweizerischen Valendas – die Fassade eines dreigeschossigen Wohnhauses restaurieren darf, dessen Kalkputz über 500 Jahre alt ist! Geradezu erleichtert reanimiert er die Atmungsaktivität eines Gewölbekellers in einem denkmalgeschützten Haus, indem er den Zementputz ablöst, das Mauerwerk entsalzt und einen dicken Kalkputz aufträgt. „Das Schöne ist ja“, erklärt Ulrich, „dass Kalk lebt und auf natürliche Art jeden Raum und jedes Gebäude lebendig hält.“
Das Arbeitsmaterial des Kalkbrenners

Modern bauen mit alten Putztechniken

Wie vielseitig und zeitgemäß der Einsatz von Kalkputz sein kann, hat Gerold Ulrich vor allem in jüngeren Bauprojekten eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Am nächsten Vormittag nimmt er uns mit zum Montforthaus – ein modernes Kultur- und Kongresszentrum in der Innenstadt von Feldkirch. Die beeindruckenden geschwungenen Brüstungen in der Eingangshalle und im großen Saal hat der Maler mit seinem Team in Kalkglätte modelliert. „Um ein durchgehend flächiges Ergebnis zu erzielen, haben wir sozusagen in einem Arbeitsgang die Kalkglätte aufgetragen, extrem stark verdichtet und anschließend verseift“, erinnert sich Ulrich.
Der Kalkbrenner aus Österreich
Ein Gebäude aus Kalk
Ein Gebäude hergestellt aus Kalk
Der Kalkbrenner aus Österreich

Malerwerkstatt Gerold Ulrich

1989 machte sich der gelernte Maler und Malermeister Gerold Ulrich in Satteins im österreichischen Vorarlberg selbstständig. Die intensive Beschäftigung mit alten Kalk- und Lehmputztechniken führte ihn zunehmend zur eigenen Herstellung der dafür geeigneten Baumaterialien. Das Spektrum reicht von Kalkputzen und -farben über Lehmkasein bis zu Glättseife und Ölfarben. Wie diese Materialien optimal verarbeitet werden, weiß keiner besser. Heute gibt Gerold Ulrich sein unerschöpfliches Wissen auch an andere Handwerksbetriebe weiter.